Totgesagte leben länger! – oder doch nicht?

Nach vier Jahren Messeabstinenz der Steinverarbeitenden Branche in Deutschland war wohl jeder gespannt, wie es der neuen Messegesellschaft AFAG gelungen sein mochte, die Messehallen zur Stone+tec 2022 nicht nur mit Ausstellern, sondern auch mit Besuchern zu füllen. Dementsprechend lautete bei fast jedem Gespräch die erste Frage: „Und – wie ist Ihr Eindruck“? Mein Eindruck nach zwei Tagen Steinmesse ist dann allerdings derart zwiegespalten, dass ich die Einschätzung Ihnen, liebe 1200 Grad-Leser überlasse – nach den folgenden Zeilen. Soviel vorab: In ihrem Presseschlussbericht nennt die Projektleitung des Veranstalters eine Besucherzahl von 9.600, die die Veranstaltung an den vier Messetagen besuchten; gemäß AUMA-Kennzahlen bedeutet dies einen weiteren Rückgang (11.819 in 2018, 15.161 in 2015, 19.562 in 2013).

Mit nur drei halbwegs gefüllten Hallen hatte die AFAG die Erwartungen quantitativ nicht erfüllen können – zumal das Ausstelleraufkommen 2018 mit 333 Unternehmen in ebenfalls drei Hallen größer gewesen ist als 2022, mit offiziell angegebenen 220 Unternehmen. Da bei vielen Marktteilnehmern noch die Erinnerung wach ist an einstige glanzvolle Steinmessen in Nürnberg mit mehr als zehn gefüllten Hallen, mehr als 500 Ausstellern und mehr als 20.000 Besuchern, hatte es der Veranstalter aber auch besonders schwer den Ansprüchen gerecht zu werden. Qualitativ haben sich die Ausstellerschwerpunkte stark verändert: Während keiner der großen deutschen Natursteinhändler mehr auf der Messe vertreten war und sich nur eine Handvoll Steinanbieter einfand, war die Messehalle der Maschinen- und Werkzeughersteller gut gefüllt. Mit ein Grund hierfür: Nach der Corona-geschuldeten enttäuschenden Marmomac 2021 waren zahlreiche italienische Anbieter dem Aufruf des italienischen Verbandes Confindustria Marmomacchine zur Teilnahme an der Stone+tec gefolgt.

Nach den drei Themenbereichen „Ausrüstung für Profis“ (Halle 12), „Bauen mit Naturstein“ (Halle 11), und „Ort der Erinnerung“ (Halle 10) hatte der Veranstalter die Aussteller aufgeteilt – mit wenigen Ausnahmen. So sorgte etwa Maschinenhersteller Burkhardt-Löffler (mit den Mitausstellern Weha und Wihofszky) für ein wenig Leben in der Halle 10, in der – passend zum Themenschwerpunkt – ansonsten eher Grabesruhe herrschte. In Halle 11 täuschten großflächige Auftritte des Bundesverbandes Deutscher Steinmetze BIV sowie des Deutschen Naturwerkstein-Verbandes DNV über das maue Ausstellerinteresse hinweg. Nur in Halle 12 ging es durchgängig – zumindest für einen Teil der angereisten Firmen – lebhaft her.

Treffpunkt nicht nur für Naturstein-Fans

Hier kam sogar der keramisch interessierte Besucher auf seine Kosten – etwa bei der neuen Keramik-Werkzeuglinie des Werkzeugherstellers Wodiam, bei der neuen Sockelfliesen-Schneidemaschine von Steinadler, bei der Fliesen-Trockensäge iQTS 244 am König-Messestand oder auch bei den zahlreichen – teilweise in Funktion vorgeführten – Großmaschinen, bei denen ein Austausch der Werkzeuge den Wechsel in der Bearbeitung von Naturstein zu Engineered Stones oder zur Keramik und wieder zurück ermöglicht.

Weltweit erste Trocken-Fliesensäge mit integrierter Staubabsaugung: Ralph Haselmayr führte die iQTS 244 am König-Messestand vorStolz auf ihre Mitwirkung bei der Entwicklung der neuen Fliesen-Sockelschneidemaschine MSSM-FB-1 von Steinadler: Wolfgang (l.) und sein Sohn Thomas Gördes vom Industriebedarf Gördes

Allen voran die Wasserstrahl-Maschinen, mit denen sich gerade die großen dünnen Feinsteinzeugplatten perfekt bearbeiten lassen und die eine Marktdurchdringung der XXL-Keramik erst möglich gemacht haben, sichern derzeit den Anbietern das wirtschaftliche Auskommen.

Leider waren nur die Techni Waterjet-Wasserstrahl-Maschine von Gmm sowie die tecnocut milestone s von CMS an eine Pumpe angeschlossen und zeigten die Möglichkeiten des kalten Schneidverfahrens im Probebetrieb. Die ebenfalls italienische Waterjet Corporation hatte ihre mitgebrachte Maschine zwar nicht aktiviert, begeisterte indes mit ihrem Hydro Finish-Verfahren, mit dem auf jedem mineralischen Plattenwerkstoff Oberflächenstrukturen aller Art erzeugt werden können.

Ermöglicht innovative Oberflächenbearbeitungen auf allen mineralischen Werkstoffen: Das Hydro Finish-System des italienischen Wasserstrahlmaschinen-Anbieters Waterjet Corporation

Hochinteressant für Verarbeiter großer keramischer Platten (ebenso für alle anderen Plattenwerkstoffe) ist das neue Mistrello-Lagersystem, welches mit einem sechsachsigen Roboter ausgestattet werden kann, der die Platten einzeln aus dem Vertikallager holt und auf die horizontale Produktionslinie oder gleich auf die jeweilige Maschine hebt.

Präsentierten effiziente automatische und semi-automatische Lagerlogistik-Systeme: Richard Bruckner (l), Bruckner Engineering GmbH und Mauro Baccaglini von Mistrello

Flow war ohne seine speziell für die Steinindustrie entwickelte Mach 200 angereist und entsprechend enttäuscht vom mangelnden Besucherinteresse. Vertriebsleiter Ralf Möller des US-amerikanischen Wasserstrahl-Anlagenpionier verwies auf die bereits in drei Monaten startende Branchenleitmesse Marmomac, wo die Maschine in Betrieb zu erleben sein wird. Überhaupt hatte der kurze zeitliche Abstand der beiden Veranstaltungen sicher sowohl viele Aussteller als auch etliche Besucher von einer Reise nach Nürnberg abgehalten. Der Autor dieses Berichtes findet dies insofern schade, als in der Branche eine Messe in Deutschland erwartet sowie gefordert wird und die Chance wahrscheinlich nie größer war, sich in vergleichsweise kurzer Zeit einen breiten Maschinen- und Werkzeugüberblick zu verschaffen – inklusive eingehender Gespräche mit den Herstellern oder ihren Deutschland-Vertretern. Insbesondere an den Nachmittagen – ab etwa 15 Uhr – nahm die Besucherfrequenz signifikant ab; dann hatte man alles gesehen, wenn man zwischendurch keine tiefgreifenden Herstellergespräche geführt hatte.

Zwei Besuchermagneten

Den mit Abstand größten Besucherandrang verzeichnete das traditionsreiche Handelsunternehmen Hietel. Gegen den Trend hat Hietel weitere Partner gewonnen und konnte auf 330 Quadratmetern fast schon eine kleine Messe innerhalb der Messe veranstalten. Mit insgesamt 21 unterschiedlichen Maschinen-,  Werkzeug- und Zubehörherstellern präsentierte sich Hietel so vielfältig wie nie zuvor. Tim Niebergall zufolge, Sohn und Enkel der Hietel-Geschäftsführer sowie ab Anfang kommenden Jahres ebenfalls in der Firmenleitung, ergibt sich daraus die Möglichkeit einer nahezu perfekten Kundenbetreuung: „Wir leisten für unsere Kunden ja einen Full Service – vom Bleistift bis zum fünfachsigen CNC-Bearbeitungszentrum“. Dass mehrere andere Handelsunternehmen sich von ihren Maschinenpartnern getrennt haben, versteht Niebergall daher nicht.

Einer von 21 Mitausstellern am Hietel-Messestand: Flexijet-Techniker Armin Weber erläutert Tim Niebergall das neue mobile 3D-Außmaßsystem von Flexijet

Beim Werkzeughersteller und Handelsunternehmen König war die Kundenfrequenz ebenfalls durchgängig hoch – mit einer täglichen Spitze ab etwa 14 Uhr, wenn der traditionelle Erdbeerkuchen gereicht wurde. Für Profis noch interessanter waren allerdings wie immer die zahlreichen Vorführungen und Gelegenheiten, Werkzeuge selber vor Ort zu testen. Exemplarisch für eine kleine, aber wirklich innovative Neuerfindung sei an dieser Stelle das neue Click Lock-Aufnahmesystem für drehzahlregulierte Winkelschleifer erwähnt: Mit dem Magnet-Schnellwechselsystem lassen sich Schleifpads einfach auf die Maschine aufsetzen, ohne dass zuvor die Trennscheibe entfernt werden muss.

Manchmal sind es die kleinen Ideen, die den meisten Pfiff haben: Magnet-Schnellwechselsystem Click Lock für den Winkelschleifer am König-Messestand

Neben diesen beiden Besuchermagneten in Halle 12 – sowie dem Gemeinschaftsmessestand von Burkhardt-Löffler, Weha und Wihofszky in Halle 10 – bildeten sich kaum einmal Menschentrauben an einem der Messestände. Wenn für einen Journalisten überall sofort die gewünschten Ansprechpartner ohne Termin zum Gespräch zur Verfügung stehen, ist dies zwar der Berichterstattung förderlich, zeugt jedoch nicht von übermäßigem Besucherandrang.

Eine weitere Ausnahme bildete die „Lebende Werkstatt“, in der Anwendungstechniker verschiedener ausstellender Unternehmen Tipps und Tricks zur Verlegung und Montage anspruchsvoller Materialien gaben. Insbesondere bei den zweimal täglich stattfindenden Akemi-Vorführungen des neuen Jollynator-Werkzeugsystems kamen regelmäßig viele Zuschauer zusammen. Um die Anwendung des bei Gehrungsverklebungen vielfach eingesetzten Colourbond-Klebstoffes P+ weiter zu erleichtern, hat Akemi ein System an Applikationswerkzeugen unter der Marke Jollynator neu ins Programm aufgenommen. Hiermit gelingen perfekte Außenkanten noch einfacher als bisher.




Ausstellerstimmen

Nicht wenige Aussteller und Besucher attestierten der Stone+Tec 2022, die letzte ihrer Art gewesen zu sein; indes wollte keiner von ihnen derart zitiert werden. Daher hier einige der ebenso zahlreichen positiven Stimmen:

Gmm Deutschland-Geschäftsführer Stephan Müller freute sich, nach langer Pandemiezeit seine Kunden endlich wieder ohne Maske sowie mit Handschlag besuchen zu können und damit ein Stück Normalität zurückbekommen zu haben. „Wir sind stolz, was wir als junges Unternehmen auf die Beine gestellt haben und wollten dies auch mit vier Großmaschinen auf einem 300 Quadratmeter großen Messestand zeigen“, bekennt Müller, der zudem den wichtigen Zusammenhalt der Branche einfordert. Daher sei es für ihn keine Frage gewesen an der Messe teilzunehmen. Gute Gespräche mit konkret interessierten potenziellen Investoren seien der Lohn hierfür gewesen. Im Übrigen vermeldete der italienische Hersteller noch die Übernahme der Mehrheitsbeteiligung an der für ihre Bearbeitungszentren bekannten Firma Bavelloni. Wie Stephan Müller informiert, wird sich Gmm aber auch weiterhin auf seine Sägen konzentrieren.

Ebenfalls mehr als zufrieden mit dem Messegeschehen zeigten sich die beiden SteMaTec-Geschäftsführer Rainer Schölles und Gerhard Kraut. Natürlich komme heute niemand mehr zu einem Erstgespräch auf die Messe und verlasse diese wieder mit dem unterschriebenen Kaufvertrag, so Schölles. Sie hätten jedoch gleich mehrere Top-Kontakte am Stand gehabt, was so nicht unbedingt zu erwarten gewesen sei. Dass die Messemaschine – wie bei allen anderen Maschinenausstellern – längst verkauft ist, sei ohnehin klar, ergänzt Gerhard Kraut. Der Kunde habe die baugleiche Maschine bei einem anderen Betrieb in der Nähe begutachtet und anschließend unbedingt ebenfalls haben wollen, so Kraut.

Ähnlich erfreut äußerte sich Wilhelm Weiß, Geschäftsführer der Weiss Steintechnik Handels GmbH und auf der Stone+tec an den Messeständen seiner Kunden OMAG und Emmedue tätig: Bis der Ukraine-Krieg losging, sei der Verkauf – trotz Corona – gut gelaufen, doch dann sei schlagartig Schluss gewesen. Auf der Messe habe er jetzt aber wieder gut zu tun gehabt und interessante Verkaufsgespräche geführt.

Berichtete von guten Verkaufsgesprächen auf der Stone+tec: Wilhelm Weiß (2. v.l.), hier bei der Kundenberatung vor der neuen Emmedue 5-Achs-CNC-Drehkopfsäge Discovery

Akemi-Geschäftsführer Dr. C. Dirk Hamann war bei seinem Heimspiel bereits im Vorfeld optimistisch: „Für uns ist es eine große Freude, hier als Nürnberger Unternehmen mit dabei zu sein und wir sind glücklich darüber, dass wir die gesamte Steinfamilie hier treffen können. Wir führen sehr gute und intensive Gespräche mit unseren Kunden und sind froh, sie hier in Nürnberg wieder begrüßen zu dürfen.“

Und selbst Bernhard Bock, der bewusst aus der lauten Maschinenhalle 12 in die leisere Steinhalle 11 gewechselt war, berichtete von einer „sehr positiven Grundstimmung“ bei der ersten Messe, an der er mit Supergrip seit Jahren wieder teilnehme; lediglich Architekten hätten sich in diesem Jahr erstmals nicht an seinem Messestand blicken lassen, so der Supergrip-Geschäftsführer.

Günter Czasny schließlich teilte mit, es sei „ein tolles Gefühl, endlich wieder unter Leuten zu sein und sich auf der Fachebene auszutauschen. Unser Stand war gut besucht und wir können sagen, es hat sich gelohnt da gewesen zu sein“, so der stellvertretende Geschäftsführer der Ernst Strassacker GmbH. Es habe viele Highlights auf der Stone+tec gegeben. Czasny hob insbesondere den Nachwuchswettbewerb Innovation Area als tollen Ansatz hervor. Zudem seien die drei Kongresstage etwas Besonderes gewesen – aus seiner Sicht vor allem der dritte Kongresstag, der unter dem Titel „Ort der Erinnerung“ stand. Er hoffe, mit Strassacker einen kleinen Teil dazu beigetragen zu haben, so Czasny.

Impressionen von der Stonetec in Nürnberg:

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